Das Dach als Luxusgut
Luxus genießen, das ist für viele Menschen ein großes Lebensziel. Die einen wollen den besten Kaffee, die anderen das Stück Fleisch vom handmassierten Rind – und andere ein Dach überm Kopf. Ein Dach gilt zwar gemeinhin als etwas sehr einfaches.
Nicht so aber an der Uni Bielefeld. Im Zuge des Neubaus soll ein Dach entstehen, dass nach Meinung der Uni auf jeden Fall als Luxus gelten muss – denn ansonsten dürfen sie es nicht mit dem Geld bezahlen, mit dem sie aktuell bezahlen wollen.
Andreas Hermwille mit einem Feature über „das Dach als Luxusgut“.
Erster Teil – Die Perspektive der Universität
Die Universität Bielefeld – hier treffen sich Gegensätze. Klotzbeton folgt auf grünen Rasen. Das verglaste Schwimmbad grenzt an ein Restaurant. Und neuerdings hat man auf der einen Seite der Uni ganz normalen Lehrbetrieb – und auf der anderen Seite entfaltet sich Stück für Stück eine Baustelle.
Der alte Frauenparkplatz neben der Unibrücke ist mittlerweile weitläufig umzäunt. Hie und da wurde der Beton aufgeschlagen. Efeu rankt sich an den Bauzäunen hoch. Mit den blinden Fenstern der alten Mensa im Hintergrund vermittelt die runtergekommene Kulisse einen rauen Industriecharme. Was aktuell etwas verlottert aussieht, das wird sich in den kommenden Monaten zu einer der größten Baustellen in Nordrheinwestfalen entwickeln. Hier, im umzäunten Bereich liegt der 1. Bauabschnitt zur Sanierung der Universität Bielefeld. In insgesamt 6 Schritten soll die Uni von Asbest und PCB befreit werden – bis 2025 soll das ungefähr dauern.
Der erste Bauabschnitt der Uni wird wahrscheinlich die größten Veränderungen bringen. Die alte Mensa wird abgerissen. Und auf der Fläche der alten Mensa und des Frauenparkplatzes entsteht ein ganz neuer Gebäudeteil. Dieser neue Gebäudeteil wird neben dem neuen Haupteingang die Gesundheitswissenschaften und den Servicebereich „Studieren, Lehre, Karriere“ beheimaten. Auf den Bauplänen sieht es ein bisschen aus wie ein Trapez, das man mit der langen Seite an die Haupthalle andocken lässt.
Die besondere Form dieses Gebäudeabschnitts hat die Universität auf eine Idee gebracht.
„Also durch diesen Neubau erhalten wir einen umschlossenen Raum, den wir mit einem Dach versehen wollen. Damit haben wir dann nicht einen Außenraum, sondern wir haben einen Innenraum, und den wollen wir kommunikativ nutzen.“
Sagt Stephan Becker, Der Kanzler der Universität Bielefeld. Kommunikativ benutzen heißt, dass im Innenhof ein Servicecenter entstehen soll, mit ersten Anlaufstellen des Studierendensekretariats, oder der Erstsemesterberatung. Dazu kommen Sitzgruppen, offiziell um Lerngruppen zu ermöglichen – aber eine Kaffeebar wird dann vermutlich auch nicht weit sein.
Das sind schöne neue Möglichkeiten, deren Gesamtkosten noch nicht genau fest stehen – bis auf die des Daches: Es soll ein „Folienkissendach“ werden, es wird also in etwa so aussehen wie die Verpackung der Allianz-Arena des FC Bayern, und es wird knapp 1 Millionen Euro kosten.
Es gibt aber ein Problem: Die kalkulierten Gesamtkosten für den 1. Bauabschnitt der Uni liegen nach aktuellem Stand bei 143 Millionen Euro. Das ist bereits mehr, als das Budget des Landes eigentlich zugelassen hätte. Trotzdem will man mit dem Dach noch einen Kostenpunkt mehr schaffen, der in der Ursprungsplanung nicht vorgesehen war. Aber was ist schon eine Millionen mehr, neben den 143 anderen. Laut dem Kanzler der Universität, Stephan Becker hat man auch bereits eine Lösung für die Mehrkosten, die auch vom Land unterstützt wird.
„Das Land hat in der Tat einen Teil der erhöhten Kosten übernommen. Wir haben zum anderen Teil Reduzierungen am bisherigen Planungsstand vorgenommen. Und zu einem dritten Teil haben wir selber einen Teil der Kosten übernommen aus dem Hochschulbudget.“
Die übernommenen Kosten sind die Kosten für das geplante Dach. Die fälligen 1 Millionen Euro sollen nach dem aktuellen Plan der Universität aus dem Topf für Qualitätsverbesserungsmaßnahmen kommen. Qualitäts-Verbesserungs-Maßnahmen. Das ist ein langes Wort. Qualitätsverbesserungsmaßnahmen dürfen mit Qualitätsverbesserungsmitteln bezahlt werden. Qualitätsverbesserungsmittel sind die Gelder die das Land NRW den Unis als Ausgleich gibt, seit die Studiengebühren abgeschafft wurden. Sie sind ausschließlich vorgesehen für Maßnahmen zur Verbesserung von Studium und Lehre. Also Seminare, Tutorien, Exkursionen – das kann alles damit bezahlt werden. Aber ein Dach? Geht das? Kann man ein Dach als Verbesserung von Studium oder Lehre bezeichnen? Stephan Becker sagt, Ja das geht.
„Das ist tatsächlich ein, jetzt sage ich mal in Anführungszeichen, Luxus, den wir haben wollen, weil wir die Verhältnisse für die Studierenden vor Ort verbessern wollen. Und dann fällt das genau in das Ziel dieses Topfes, denn der kann auch zu diesem Sinn für die Finanzierung von Baumaßnahmen verwendet werden.“
Soweit, so einfach – findet der Kanzler. Es gibt einen Neubau mit Innenhof, der Innenhof bekommt ein Dach, und da dadurch die Studiumsbedingungen verbessert werden, kann das Dach mit Qualitätsverbesserungsmitteln bezahlt werden.
Wie aber sieht das Land NRW, das ja diese Mittel zur Verfügung stellt, den Plan? Ist ein Dach noch Verbesserung des Studiums?
Zweiter Teil – Die Perspektive des Landes
Auf einen Innenhof ein Dach zu bauen – kann man das als Verbesserung von Studium oder Lehre sehen? Es klingt ja erst einmal abwegig. Aber die Uni sagt das geht, wegen der vielen Möglichkeiten, die mit dem Dach für die Studierenden geschaffen werden. Ein Servicecenter. Neue Sitzplätze. Alles nicht möglich, ohne das Dach. Dazu nochmal Stephan Becker, Kanzler der Universität:
„Hier geht es um ein Plus, hier geht es um etwas, dass das Land nicht bezahlt hätte, denn für das Land sind das Verkehrsflächen.“
Verkehrsfläche heißt so viel wie Durchgangsfläche – mehr als ein schnelles Durchqueren des Innenhofs, um in die Uni zu kommen, war auf den Bauplänen also nicht vorgesehen. Jede andere Nutzung ist dementsprechend eine Verbesserung. Das ist die Perspektive der Uni – und, wie sich auf unsere Nachfrage herausstellt, auch die des Landes. Bauen ist laut dem Wissenschaftsministerium auf jeden Fall erlaubt mit Qualitätsverbesserungsmitteln. Man darf nämlich eigentlich alles mit diesem Geld, solange man einen Punkt benennen kann, an dem Studium oder Lehre verbessert wird. Und auch speziell mit diesem Dach hat man im Ministerium keine Probleme:
Bei dem geplanten Folienkissendach handelt es sich um eine Überdachung des (Studierenden)ServiceCenters, das im Innenhof des neuen Anbaus entstehen soll. Dieses ServiceCenter ist ein Kernelement der Bauplanung der Universität Bielefeld für den Anbau bzw. Sanierung des Universitätshauptgebäudes. Ohne Dach wäre eine Realisierung dieses ServiceCenters nicht möglich, daher handelt es sich um eine Maßnahme zur Qualitätsverbesserung von Studium und Lehre.
So heißt es in der Email des Ministeriums. Aber: Ist das wirklich so einfach? Da schreiben sie selbst: „Ohne Dach wäre eine Realisierung dieses Servicecenters nicht möglich“. Wenn man nun aber Qualitätsverbesserungsmittel verwendet, um etwas anzuschaffen, das ein ganzes Servicecenter ermöglicht. Hat man es da wirklich noch mit Verbesserung zu tun? Oder ist das Dach dann nicht schon Basis, um alles zu ermöglichen, was unter das Dach soll?
Verbesserung oder Basis, das ist der Kampf, der rundum diese Gelder ausgetragen wird. Wäre das Dach eine Basisanschaffung, dann dürfte die Universität keine Qualitätsverbesserungsmittel verwenden. So will das Land es aber nicht sehen. Auf erneute Nachfrage lautet die Antwort:
Die Überdachung des Innenhofs und damit die Schaffung von Flächen für eine zentrale Anlaufstelle ist eine von der Universität ausdrücklich gewünschte Sondermaßnahme für die Studierenden. Es handelt sich also um eine Maßnahme zur Verbesserung von Studium und Lehre und damit können auch Qualitätsverbesserungsmittel zur Finanzierung eingesetzt werden.
Für das Land fällt also nicht ins Gewicht, dass erst das Dach die Verbesserungen für die Studierenden ermöglicht, und es dadurch für sich keine Verbesserung darstellt. Damit sind sich Universität und Land also einig. Aber wenn an der Universität jemand Qualitäts-verbesserungsmittel haben will, dann muss immer auch ein spezielles Gremium zu Rate gezogen werden: Die Qualitätsverbesserungskommission. Die ist, so ist es vom Land vorgesehen, mehrheitlich von Studierenden besetzt. Traditionell haben die Studierenden eine andere Meinung davon, was gut ist für die Studierenden als die Uni. Was halten also die Studierenden davon, dass zu ihrem Wohl ein Dach gebaut wird? Wir haben bei der Qualitätsverbesserungskommission und dem AStA nachgefragt.
Teil 3 – Perspektive der Studierenden
Ein hübscher Innenhof, mit Menschen die auf Bänken sitzen, oder vor Beratungsstellen in Schlangen stehen. Alles unter einem hellen, netten Folienkissendach. Gebaut wird es zum Wohl der Studierenden.
Was sagen nun aber die dazu, zu deren Wohle hier gebaut wird, die Studierenden? Die erste Anlaufstelle für die Frage ist der AStA. Egal worum es bei Belangen der Studierenden geht, beim AStA haben sie bestimmt eine Meinung. In diesem Fall gibt es überraschenderweise aber keine Antwort. Man will sich beim AStA zum Innenhofdach nicht äußern. Mails bleiben unbeantwortet, direkte Ansprache auf später vertagt und dann leider vergessen – ist da irgendwas dem AStA unangenehm? Das Gefühl bestätigt sich schließlich: Ein AStA-Mitglied, das nicht genannt oder aufgenommen werden will, erklärt uns sinngemäß:
Der AStA war an der Bauplanung beteiligt. Die Verwendung von Qualitätsverbesserungsmitteln für das Dach hat uns zwar nicht gefallen. Aber wir haben dann verpennt, uns gegen die Planung zu positionieren. Und jetzt ist es halt zu spät, darum können wir schlecht noch was dagegen sagen.
Der AStA hat den Moment zum Protest also verpennt. Aber das Schöne an der Verwendung von öffentlichen Geldern ist: Da dürfen viele Parteien mitreden. In diesem Fall, nämlich bei der Verwendung von „Qualitätsverbesserungsmitteln“, ist die nächste Partei die Qualitäts-verbesserungskommission. Aber ein Ansprechpartner aus der Kommission ist nicht aufzutreiben. Wieso?
Die Antwort auf die Frage kommt aus dem Studierendenparlament. Die aktuelle Kommission ist handlungsunfähig, weil sie falsch besetzt wurde. Die letzte Kommission wäre müsste deswegen eigentlich weiter arbeiten. Aber deren Mitglieder sind größtenteils nicht mehr an der Uni.
Schließlich ist doch ein Ansprechpartner zu finden: Felix Gora, der Vorsitzende der letzten Qualitätsverbesserungskommission. Der war zwar nicht zuständig, um über das Dach zu entscheiden – aber kann Auskunft geben, wie generell Qualitätsverbesserungsmittel vergeben werden.Zum Beispiel, ob man damit wirklich bauen darf.
„Theoretisch ja, wir haben explizit den Punkt Baumaßnahmen drin gehabt, dabei ging es unserer Einschätzung, bzw. meiner Einschätzung nach vor allen Dingen darum, studentische Arbeitsplätze zu verbessern, aber wir haben auch explizit gefordert, dass wir nicht wollen, dass reguläre Mittel durch QV-Mittel ersetzt werden, das heißt dass da eine Umverteilung passiert, und die Baumaßnahmen mit finanziert werden von den QV-Mitteln.“
Klingt, als wäre das Dach gar kein Problem. Es ist Verbesserung der studentischen Arbeitsplätze, und keine Umverteilung, sondern einfach ein ganz neuer Kostenpunkt, weil das Land ja nicht zahlen will – eine Lücke, wenn man so will. Aber wenn die Qualitätsverbesserungskommission doch die Kommission ist, die für die Verwaltung der Gelder verantwortlich ist – muss die Kommission dann nicht wenigstens ausdrücklich zustimmen, dass man einen überdachten Innenhof will? Die ernüchternde Erklärung: Nein, muss die Kommission nicht. Sie musste noch nie zustimmen. Sie darf sich ansehen, wofür das Geld ausgegeben wurde.
„Wir haben halt nur eine beratende Tätigkeit, das heißt wir haben grobe Richtlinien… Das sind 5 Seiten Text, wo wir uns überlegt haben, was unter die Mittel fallen könnte, was man damit finanzieren könnte. Dann treffen wir uns immer mal wieder und gucken ob das alles auch so ausgegeben wurde. Aber im Grunde können wir nachher nur sagen dass es nicht so passiert ist. Aber verhindern können wir das nicht.“
Die maximale Eskalationsstufe, die die Qualitätsverbesserungskommission zu bieten hat, ist von der Finanzierung eines Projekts abzuraten. Aber selbst das konnte im Falle des Daches nicht passieren – weil über das Dach in Ermangelung einer zuständigen Kommission gar nicht beraten wurde. Der Schluss, der daraus folgt, irritiert im ersten Moment.
Frage: „Es wird also wahrscheinlich das Dach gebaut, weil es keine Beschlusslage zu ihm gibt?“
Felix: „Ja.“
Wie sieht nun das Gesamtbild aus? Land und Uni sind sich einig, dass das Dach ein würdiges Luxusgut ist, und als Verbesserung der Studiumsbedingungen zu sehen ist. Im AStA und der Qualitätsverbesserungskommission, den zuständigen Gremien die studentisch bestimmt sind, teilt man diese Meinung nicht. Aber man war entweder zu verpennt, um die Unzufriedenheit über die Pläne zu äußern. Oder man hatte, wie im Fall der Qualitätsverbesserungskommission, eine Grauzone in der Beschlusslage geschaffen, die eigentlich Projekte dieser Größenordnung verhindern sollte – aber am Ende zu schwammig war. Und schließlich hat das Studierendenparlament es nicht geschafft, eine neue Qualitätsverbesserungskommission zu wählen, die auch hätte tagen und über das Dach diskutieren können.
Für die Uni ist es also gut gelaufen.
Ein Großprojekt im Gewicht von 1 Millionen Euro aus Qualitätsverbesserungsmitteln finanzieren zu können, ohne nennenswerte Widerstände, das ist ein echter Erfolg. Ohne lügen zu müssen, kann gesagt werden, dass sich bei Beteiligung aller entscheidungsfähigen Gremien niemand beschwert hat.
Und wenn in drei, vier Jahren dann da ein hübscher Innenhof ist, unter dessen im Sonnenlicht leuchtenden Folienkissendach die Studierenden flanieren können – denen wird dann völlig egal sein, ob das Dach über ihnen nun Luxus oder Basis ist.