“Kartoffelsäcke für alle”?! – Ein Kommentar

Der deutsche evangelische Kirchentag gibt sich progressiv: vergangene Woche ging es in Dortmund in verschiedenen Veranstaltungen unter anderem um Homophobie, Prävention sexualisierter Gewalt und Geschlechtergerechtigkeit. Eingeladen war da z.B. auch Barbara Kuchler, eine Bielefelder Soziologin, die schon bekannt dafür ist, eher kontroverse Ansichten zu haben. Auf dem Kirchentag sagte sie, wenn Frauen sich schminkten, die Augenbrauen zupften und enge Kleidung trugen, müssten sie sich nicht wundern, „wenn sie angesehen werden und es zu Grabschereien kommt“.

“Es ist richtig, dass es, wenn es um Schönheitsideale geht, sehr unterschiedliche Erwartungen an Männer und Frauen gibt. Es ist auch richtig, dass es bei diesen unterschiedlichen Erwartungen darum geht, den weiblichen Körper zu kontrollieren und damit letztendlich die Frau selbst. Deswegen ist es naheliegend, daraus zu schließen, dass Frauen diese Ungerechtigkeit bekämpfen können, indem sie diese Erwartungen sabotieren.
Und klar, es stimmt: Frauen geben im Schnitt mehr Geld für Kosmetikprodukte aus und verwenden mehr Zeit und Energie darauf schön auszusehen als Männer. Und ich würde es jeder Frau ans Herz legen sich zu fragen, für wen sie das eigentlich macht. Das zu hinterfragen ist wichtig. Wenn aber eine Frau danach immer noch davon überzeugt ist, dass sie sich gerne die Beine rasiert und enganliegende Kleidung trägt, so what! Das bedeutet nicht, dass sie eine sexualisierte Belästigung eher akzeptieren muss als eine Frau, die sich dagegen entscheidet.
Was Kuchler da gesagt hat, ist das was ich ganz klar als victim blaming bezeichne. Eine Frau, die sich schminkt und enge Kleidung trägt, hat genau dasselbe Recht ernst genommen und nicht begrabscht zu werden, wie eine Frau, die das nicht tut. Denn Tatsache ist nun mal: Weder Outfit noch Makeup ändern etwas an sexualisierten Übergriffen oder Anerkennung im Job.
Außerdem findet hier eine Verschiebung des Problems statt. Während die Sexualität des Mannes als natürlich und biologisch erklärt wird, wird die Sexualität der Frau tabuisiert. Und wieder einmal sind es die Opfer sexualisierter Gewalt und nicht die Täter*innen, die dazu aufgefordert werden ihr Verhalten zu ändern. Ich meine, was erwartet Barbara Kuchler? Dass auf einmal die Übergriffe massiv zurückgehen und Frauen repräsentativ in den Chefetagen arbeiten, wenn keine Frau mehr einen kurzen Rock trägt? Das bezweifele ich doch stark.
Da hilft es auch nichts, dass sie sagt, es brauche entweder „Kartoffelsäcke für alle“ oder enge, körperbetonte Klamotten für alle Geschlechter. Wie wäre es, wenn jede Person das anzieht was ihr gefällt und wir Täter*innen von sexualisierten Übergriffen konsequent zur Verantwortung ziehen? Aber das scheint ja eine wirklich verrückte Idee zu sein.”

Ein Kommentar von Mira Riegauf, gesprochen von Steffi Polnik.