“Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Wintersemester nicht normal sein wird”

Moderation: Steven Hartig

+ DIE KOMPLETTEN INTERVIEWS MIT ALLEN STUDIENDEKAN*INNEN FINDET IHR GANZ UNTEN +

Rektor Gerhard Sagerer: “Ich möchte erstmal nochmal alle ganz, ganz herzlich begrüßen. Wir freuen uns, dass Sie Bielefeld als Ihren Studienort gewählt, wobei Ort momentan bisschen ne andere Bedeutung hat. Lassen Sie uns gemeinsam versuchen, diesen Campus-Spirit der Uni Bielefeld auch in diesen schwierigen Zeiten aufrechtzuerhalten. Soziale Distanz, ja, aber Campusnähe auch.”

Die Studienanfänger*innen werden von Rektor Gerhard Sagerer per YouTube-Video begrüßt – nur eine von vielen Folgen der Corona-Pandemie an unserer Universität. Für 25.000 Studierende und 1500 Wissenschaftler*innen hat ein ziemlich ungewöhnliches Sommersemester begonnen. Hörsäle und Seminarräume werden wir so schnell wohl nicht betreten, aber trotzdem sitzen wir alle am gleichen Ort: zu Hause. Online-Lehre, Distance Learning – das sind die Stichworte, die auch unsere Universität gerade vom Kopf auf die Füße stellen.

Mein Name ist Steven Hartig, ich bin Wissenschaftsredakteur bei Hertz 87.9 und ich hab wirklich lang gegrübelt: Wo fange ich an? Jeder Student, jede Studentin, alle Wissenschaftler*innen haben sicherlich gerade verdammt viel zu erzählen. Ich dachte mir, ein Blick in die verschiedenen Fakultäten unserer Uni – das wäre doch ein spannender Anfang. Was plagen die einzelnen Fakultäten also für Probleme? Das Wintersemester – Wie siehts eigentlich mit dem aus? Und was bleibt von dieser Zeit, welche Spuren wird Corona an unserer Universität vielleicht hinterlassen?

Viele Fragen. Also hab ich mir mein Handy geschnappt und einfach mal die angerufen, die sich Tag für Tag mit all diesen Fragen des Studiums und der Lehre rumschlagen müssen.

„Ich bin Jan Andres. Ich bin Petra Kolip. Mein Name ist Ralf Stoecker. Mein Name ist Dominik Cholewa. Mein Name ist Nils Hasenbein. Mein Name ist Stefan Gorißen. Mein Name ist Dietmar Pollmann.“

Sie alle sind Studiendekan*innen an unserer Uni, für Linguistik und Literaturwissenschaft, Gesundheitswissenschaften, Geschichtswissenschaft, Philosophie, Sportwissenschaft und an der Technischen Fakultät [und Biologie, fehlt leider in der Audioversion]. Studiendekan*innen sind nicht nur selbst Lehrende, sie sind auch noch verantwortlich für das gesamte Lehrangebot ihres Fachbereichs. Sie mussten nun innerhalb weniger Wochen Studium und Lehre komplett umorganisieren – wie geht’s einem damit?

„Ich habe total viel um die Ohren, so viel wie ich mich kaum entsinnen kann. Also, es gibt eine Flut von Dingen, die geregelt sein wollen, eine Flut von Fragen, die auf mich niederprasseln. Das ist schon heftig im Moment.“

Sagt Stefan Gorißen von der Geschichts-Fakultät. Viel Stress – davon haben mir alle Studiendekan*nnen berichtet, z.B. auch Dietmar Pollmann von der Sportfakultät.

„In der Zeit im März und April war, ich glaube, so in meinem beruflichen Leben eine der stressigsten Arbeitsphasen, die ich erlebt habe, weil aufgrund ständig neuer Vorgaben und der ungeklärten Situation und der Vorgabe, dass wir ein Online-Semester ausrichten müssen, ganz viele Abstimmungsbedarfe bestanden.“

Abzustimmen gibt es bei dieser plötzlichen Umstellung auf eine digitale Lehre immer noch viel. Zu normalen Zeiten treffen sich Studiendekan*nnen eher selten, jetzt sehen sie sich wöchentlich, anderthalb Stunden gemeinsam mit Birgit Lütje-Klose, der Prorektorin für Lehre und Studium.

Der Start ins Semester verläuft nicht reibungslos – die technischen Möglichkeiten und die zeitliche Flexibilität im Home Office sind nicht bei allen gleich, weder bei Lehrenden noch bei Studierenden. Die meisten Studiendekan*innen aber sagen: Den Umständen entsprechend laufe es bisher ganz gut.

Die großen Fragen, die alle Fakultäten betreffen, bleiben jedoch vorerst ungelöst. Was passiert mit Klausuren, die für gewöhnlich von hunderten Studierenden geschrieben werden? Wie sollen Studierende Praktika absolvieren, wenn auf absehbare Zeit keine Arbeitgeber*innen Praktika anbieten? Die Probleme stecken zwar manchmal  nur im Detail, sind aber endlos, erzählt Petra Kolip von der gesundheitswissenschaftlichen Fakultät.

„Mein Eindruck als Studiendekanin ist: Mit jeder Frage, die ich beantwortet kriege, poppen drei neue auf, die dann noch beantwortet werden wollen, weil es zum Teil ja juristische Bereiche dann auch berührt und wir zum einen natürlich gebunden sind an die Vorgaben, die vom Ministerium kommen und von der Uni formuliert werden, es andererseits dann aber auch so Spielräume gibt. Das sind dann oft sehr technische Fragen und die gibt es sozusagen satt und blank. Da könnt ich mich den ganzen Tag mit beschäftigen und tu das ja zum Teil auch.“

Wo es genau hakt und warum, ist in den Fakultäten ganz verschieden. An der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft hat es z.B. die Musik- und Kunstpädagogik besonders schwer, sagt Jan Andres.

„Weil die natürlich sonst auch gerne Einzelunterricht, nicht gerne, sondern notwendig Einzelunterricht machen. Es wird in der Tat versucht, per Zoom sowas wie Einzelunterricht am Instrument durchzuführen, das heißt, der Lehrende sitzt in seinem Home Office oder wo auch immer der sich dann befindet und versucht den Studierenden auf der anderen Seite zu zeigen, wie die Griffe am Instrument gehen oder wie auch immer man sich das vorstellen muss  – da fehlt mir auch ein bisschen die Fantasie. Aber das findet im Rahmen dessen, was überhaupt möglich ist, auch online statt. Wir haben natürlich Präsenzräume, wo zum Beispiel auch Klaviere drin stehen, aber die können wir im Moment gar nicht so ohne Weiteres zur Verfügung stellen, weil man die natürlich nach jeder Nutzung desinfizieren muss. Sie können sich vorstellen, wie das aussieht, wenn sie einen Flügel nach der Nutzung desinfizieren müssen – mal ganz abgesehen davon, dass die Instrumente scharfe Reiniger nicht sonderlich mögen. Also, das ist eine große Herausforderung. Und in gewisser Weise gilt das für die künstlerischen Bereiche also Malerei usw. auch. Die sind auch von Werkstätten, Ateliers usw. abhängig. Auch da kann man nicht so ohne Weiteres auf Online-Lehre welcher Art auch immer umstellen.“

Ähnlich geht es vielen naturwissenschaftlichen Studiengängen. Gemeinsames Experimentieren im Labor – das ist schließlich gerade undenkbar. Andere Universitäten stellen schon Plexiglas-Wände in ihren Laboren auf, um ein ansteckungsfreies Arbeiten zu ermöglichen, hat mir Nils Hasenbein von der Biologie-Fakultät berichtet. An unserer Uni wird man bisher aber eher anderweitig erfinderisch.

„Ganz toll beispielsweise, dass eine Arbeitsgruppe Experimentierkästen zusammengestellt hat, wo die Studierenden eben Experimente, auch molekularbiologische Experimente – im Grunde natürlich, also nichts, was jetzt ein Labor erfordern würde, aber eben tatsächlich Experimente, die Fragen aus der molekularbiologischen Richtung klären -, die dann eben zu Hause durchgeführt werden können, wo dann eben die Chemikalien, die notwendig sind, ungefährliche Chemikalien, auch mit entsprechenden Sicherheitshinweisen,  auch Pflanzenmaterial zum selber kultivieren mit nach Hause gegeben wird und die das eben zu Hause machen können.“

Andere Experimente können die Studierenden über Zoom live verfolgen. Klar ist aber auch: Den sicheren Umgang mit Laborgeräten oder z.B. eine Pipette richtig zu halten, das lernen Studierende nun mal am besten in einem Labor. Viele Fakultäten versuchen jetzt diese Praxisanteile möglichst weit hinaus zu schieben auf die späteren Monate des Sommersemesters, teilweise sogar auf die vorlesungsfreie Zeit – in der Hoffnung, dass bis dahin die Kontaktbeschränkungen weiter gelockert sind. Die Laborkapazitäten dürften dann aber vielfach dafür nicht genügen.

Besonders schwer hat es gerade auch die Sportwissenschaft. Viele Sportstudierende dürfen sich in den nächsten Wochen erstmal nur mit Theorie rumschlagen. Für die Praxis müssen sie auf Plan B hoffen, den mir Dietmar Pollmann erklärt hat.

„Plan B sieht so aus, dass wir diese Praxiselemente in Blockveranstaltungen in den Monaten August, September und bis in den Oktober hinein durchführen. Aber das ist wirklich noch unsicher und das macht natürlich den Studierenden auch Sorgen, weil daran dann natürlich auch Abschlüsse gekoppelt sind. Aber allein unter Sicherheitsaspekten können wir keinen Sportlehrer in den Unterricht entlassen, der nicht Rettungsfähigkeit demonstriert hat, der nicht im Turnen Hilfestellung demonstriert hat. Diese Kompetenzen kann man nicht nur durch Schauen eines Videos vermitteln, sondern man muss da tätig sein und diese Dinge dann auch praktisch durchgeführt haben und die praktischen Kompetenzen muss man auch demonstrieren.“

Tanzchoreografien können Studierende gut zu Hause einüben. Aber bei Sport, der bestimmte Geräte oder einen Sportplatz erfordert oder nur als Mannschaftssport funktioniert, müsse man genau hinschauen, was möglich ist.

„Leichtathletik ist sowas, was man sich unter Wahrung des Abstandsgebotes auch vielleicht durchführen kann. Dann müsste es so organisiert werden, dass im Moment die Personen dann zu Hause duschen müssten und dann nur zum Kurs auf die Außenanlagen der Leichtathletik kommen würden. Das könnte vielleicht sogar noch gehen. Aber bei Sportspielen sehe ich das im Moment gar nicht. Ein Modell, wie es jetzt für die Bundesliga diskutiert wird, ist für eine sportwissenschaftliche Ausbildung, Sportpraxisausbildung in Gänze völlig undenkbar, das kann man gar nicht umsetzen. Andere Sportarten wie Schwimmen: Solange die Schwimmbäder geschlossen sind und im Hallenbad in der Uni kein Wasser ist, können wir da natürlich auch nicht dran denken, in dem Bereich Sportpraxis, Schwimmen was zu machen.“

Ganz anders gestalten sich die Probleme in den Geschichtswissenschaften. Ein wichtiger Teil des Studiums besteht darin, sich durch Archive und Bibliotheken zu wühlen, auf der Suche nach historischen Quellen. Die Bielefelder Universitätsbibliothek blieb zwar als eine der wenigen deutschlandweit offen, doch wichtige Archive in der Stadt und Region sind seit der Krise geschlossen.  Die Geschichtsfakultät hat nun wie viele andere  Fakultäten nochmal extra studentische Hilfskräfte eingestellt, um wichtige Bücher für die Lehre zu digitalisieren. Trotzdem geht vor allem Geschichtsstudierenden gerade vieles   verloren, sagt Stefan Gorißen.

„Vor allen Dingen lernen Studierende halt in dieser Situation überhaupt nicht oder ist ihnen überhaupt nicht zu vermitteln die doch sehr wichtige Technik, wie man so eine Institution wie eine Bibliothek oder ein Archiv im Alltag denn eigentlich benutzt. Wenn wir das Material vollständig zur Verfügung stellen können über die Lernplattformen, was erstmal für den Kurs sinnvoll ist, dann fehlt aber doch dieser Schritt, den Studierende auch lernen müssen, das Material sich selbstständig zu erschließen, wenn sie in einem anderen Kontext mal arbeiten und nicht eine Lernplattform im Rücken haben.“

Die sonst so wichtigen historischen Exkursionen mussten ebenfalls abgesagt werden. Und auch an der technischen Fakultät können einige Veranstaltungen überhaupt nicht stattfinden, hat mir Dominik Cholewa erzählt.

„Da die mit besonderen Rechenkapazitäten und bestimmter Hard- und Software verbunden sind, die zum Beispiel auch über einen VPN-Client von den Studierenden zu Hause gar nicht gemacht werden können. Also, das macht die Soft- und Hardware gar nicht mit.“

Deshalb – aber auch wegen des allgemein ziemlich eingeschränkten Angebots aller Bereiche der Universität wachsen auch manche Forderungen bei den Studierenden.

Cholewa: „Manche Studierende fragen sich zum Beispiel: Ist das denn notwendig, dass man den gesamten Semesterbeitrag leisten muss, wenn manche Sachen gar nicht angeboten werden?“

Und auch Lehrende mit besonders vielen Wochenstunden fragen sich: „Ich hab hier 4,5,6 oder noch mehr Veranstaltungen innerhalb kürzester Zeit komplett neu vorbereitet, auf online umgestellt. Gewissermaßen hab ich doppelte Arbeit geleistet. Wer bezahlt mir das eigentlich?“ Bei der Uni waren die Studiendekan*innen mit diesem Anliegen bisher nicht erfolgreich.

Auch wenn solche Fragen erstmal nur unzureichend beantwortet werden. Viele Wochen Sommersemester liegen noch vor uns. Wie machen wir also das beste daraus? Einen Wunsch haben  alle Studiendekan*innen: Feedback und gute Kommunikation. Nils Hasenbein von der Biologie-Fakultät:

„Noch wichtiger als sonst ist, glaube ich, der offene Umgang miteinander, also das wirklich die Studierenden ihre Probleme benennen, die sie haben. Und ich glaube von unserer Seite aus ist es einfach wichtig – und ich empfinde das auch so, dass wir die Verantwortung dazu haben –  eben auch klar und transparent zu kommunizieren, was wir gerade machen, was wir vorhaben. Ich glaube, gerade in den ersten Wochen war das, glaube ich, die schlimmste Situation und ich nehme fast an, das sie für die Studierenden schlimmer gewesen sein wird, einfach zum Teil ja gar nicht zu wissen, wie es überhaupt weitergeht. Ich glaube, es ist im Zweifel besser den Leuten zu sagen, dass kann ich noch nicht beantworten, aber wir arbeiten dran – als gar nichts zu sagen. Weil zumindest dann einfach das Bewusstsein dafür da ist, dass da jemand sich kümmert und sich mit der Situation beschäftigt, das ist, glaube ich, erstmal ganz wichtig. Das wird natürlich auch immer wichtiger, tatsächlich was zu machen. Also irgendwann darf es nicht mehr nur zu Wortbekundungen kommen, aber, ich glaube, da sind wir auf einem guten Weg.“

Diese Situation verlangt uns allen also viel Geduld und Gelassenheit ab, sagt auch Petra Kolip, Gesundheitswissenschaften.

„Ich wünsche mir, dass alle ein bisschen durchhalten. Ich glaube, beruflich wie privat sind viele jetzt an dem Punkt, dass sie sagen, jetzt ist aber auch mal gut. Herr Laschet prescht da auch voran und sagt, man muss das alles lockern. Ich glaube, dass es klüger wäre, tatsächlich noch weiter auf diese Begrenzungen zu setzen und dass wir alle da irgendwie die Gelassenheit aufbringen, dass auch mitzutragen.“

Ralf Stoecker aus der Philosophie möchte, dass wir nicht immer diesen Vergleich mit einem regulären Präsenzsemester im Hinterkopf haben, sondern die Situation als Herausforderung und Chance annehmen.

„Von den Studierenden würde ich mir wünschen – und das ist auch meine Erfahrung bisher – dass sie auch so eine Toleranz haben, wenn bei uns manchmal auch Anfängerfehler passieren und wir manchmal das auch nicht immer alles im Griff haben.“

Sein anderer Wunsch richtet sich eher an die Gesamtsituation, ist aber wohl für die meisten sehr nachvollziehbar:

„dass es irgendwann auch weniger anstrengend wird. Ich glaube im Moment, ist es für uns alle irre anstrengend.”

Irgendwann wird es vermutlich weniger anstrengend werden. Doch während für Studierende das Sommersemester gerade erst begonnen hat, müssen die Lehrenden schon wieder das nächste Semester planen. Wie das Wintersemester wirklich aussehen wird, ob Präsenzlehre dann wieder stattfinden kann und in welchem Umfang – seriös beantworten kann das aktuell keine Person. Die meisten Studiendekan*innen, mit denen ich sprechen konnte, rechnen aber nicht mit einem normalen Wintersemester. Vorbereiten tun sich auf dieses mögliche Szenario alle. Jan Andres, Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft.

„Also ich hab den Kolleginnen und Kollegen als persönliche Meinung –da lege ich Wert drauf, das ist wirklich nur meine Einschätzung – empfohlen, sich Seminarthemen zu suchen, die man sowohl online wie auch in Präsenz in gleicher oder ähnlicher Weise durchführen kann. Also dass man von Veranstaltungen mit Praxisanteilen, von Exkursionen erstmal absieht, weil ich nicht sicher bin ob das durchführbar sein wird.“

„Also ich bin mir ziemlich sicher, dass es nicht normal sein wird.“

Ergänzt Nils Hasenbein von der Biologie-Fakultät.

„Weil ich einfach davon ausgehe, nach allem was man so liest, und so ein bisschen was versteht man als Biologe ja auch von diesen Nachrichten und liest da vielleicht auch n bisschen zwischen den Zeilen. Ich glaube nicht, dass das mit dem Wintersemester erledigt sein wird. Wenn es wieder Präsenz geben wird, dann wird sie sicherlich modifiziert möglich sein nur.“

Ich finde das persönlich schwer zu begreifen. Diese Lockerungen zur Zeit geben mir manchmal das Gefühl und vielen von euch wahrscheinlich auch: Bald ist Corona vorbei, wir habens quasi fast geschafft. Dabei ist wohl eher das Gegenteil der Fall: Wir stehen immer noch am Anfang dieser Pandemie, die uns auch an unserer Universität wahrscheinlich noch lange begleiten wird.

Und klar, Studierende sollten in dieser Zeit Verständnis für Lehrende haben. Aber wie sieht es mit der Solidarität eigentlich umgekehrt aus? Wenn Studierende zu Hause ihre kleinen Kinder betreuen müssen oder ihnen ihre Technik mal versagt – dann können sie vermutlich auf Verständnis hoffen. Aber wie ist es, wenn Studierende schlechtere Klausuren schreiben als sonst oder schlechtere Hausarbeiten? Wie ist es, wenn sie nicht alle Studienleistungen perfekt oder pünktlich schaffen? Immerhin erleben wir gerade eine Pandemie, ein Jahrhundertereignis, das uns alle physisch wie psychisch stark beeinflusst. Dass Lehrende deshalb aber Prüfungen milder bewerten oder den Workload ihrer Veranstaltungen für Studierende verringern – danach sieht es bisher zumindest nicht aus.

Corona hat viel verändert und Corona wird auch Spuren hinterlassen an unserer Universität – da sind sich die Studiendekan*innen einig. Den stärkeren Austausch, das Verständnis füreinander, das zumindest die Studiendekan*innen gerade sehen – sie wünschen sich, dass das so bleibt. Viele hoffen auch, dass sich der Blick auf das Home Office durch diese Krise nachhaltig ändert.  Von zu Hause arbeiten – bisher war das den meisten Wissenschaftler*innen nämlich formal nicht erlaubt.

Weniger einig sind sich die Studiendekan*innen bei der Frage, ob unsere Universität durch diese Krise dauerhaft einen großen Sprung bei der Digitalisierung schafft.

„Wir alle erweitern gerade massiv unser Lehrrepertoire, nutzen da Dinge, die wir vorher nicht genutzt haben. Dass auch da das eine oder andere, was sich bewährt hat, einfließt in die Lehre. Also ich für mich hab schon viele Ideen.“

Hasenbein: „Ich kann es selber für mich sagen, ich hab heute morgen einen Kurs gehalten über Zoom, hab zum ersten Mal diese Break Out Rooms benutzt, also die Möglichkeit, das Seminar in kleinere Gruppen zu teilen. Da ist noch technisch eine Menge ausprobierbar. Und da sind, glaube ich, auch noch Sachen dabei, die die Kurse durchaus auch bereichern können in Zukunft.“

Andere sind da viel skeptischer, zum Beispiel Stefan Gorißen von der Geschichts-Fakultät.

„Mein persönlicher Verdacht ist, dass der Hype um E-Learning, der in den letzten Wochen hochgekocht ist, und der ja schon sehr lange von politischer und gesellschaftlicher Seite an die Universitäten herangetragen wird, in unserem Fach durch die Erfahrungen, die wir jetzt dieses Semester machen einen sehr starken Dämpfer erhalten wird. Also, ich glaube, wir wissen nach diesem Semester wieder sehr deutlich, warum wir die Präsenzlehre dringend brauchen, wie wichtig sie ist und wie unersetzbar sie eigentlich auch ist.“

Aber so ein Studium, das besteht ja ohnehin und zum Glück aus viel mehr als nur aus Vorlesungen und Seminaren. Besonders schön hat mir das Nils Hasenbein erzählt.

„Irgendjemand – ich kann mich leider nicht mehr erinnern, wer es war – hat neulich in einem Treffen sehr treffend gesagt, dass ja sogar die Erfahrung, sagen wir mal, um halb 10, ganz hinten in der letzten Hörsaalreihe, völlig übermüdet nach einer Party, eigentlich nichts mitzubekommen, zu tuscheln miteinander, ja durchaus ne Erfahrung des Unilebens ist, die man nicht rauskürzen kann. Wir können nicht alles digitalisieren. Und das studentische Leben an der Universität Bielefeld, was ich auch in meinem Studium immer als sehr lebendig empfunden habe, würde natürlich leiden, wenn immer nur noch alles virtuell ist.“

Ich jedenfalls hoffe, dass wir alle ganz bald wieder gefahrlos nebeneinander in der Mensa sitzen können, gerne aber natürlich auch morgens um halb 10, übermüdet, in der  letzten Hörsaalreihe.

Das war er – der Überblick über die Situation an einigen Fakultäten unserer Universität und die Einschätzungen der Studiendekan*innen. Die kompletten Interviews mit allen Studiendekan*innen, die Lust und Zeit hatten mit mir zu sprechen, findet ihr ebenfalls auf radiohertz.de. Dort gehen wir noch viel spezifischer auf die Situation an den einzelnen Fakultäten ein. Und die Studiendekan*innen beantworten z.B. auch die Frage, ob sie sich von der Uni oder der Politik an der ein oder anderen Stelle eine andere Entscheidung gewünscht hätten. Vielen Dank an alle Studiendekan*innen, dass Sie mit mir gesprochen haben neben ihrem aktuell besonders stressigen Job.

Wir von Hertz 87.9 behalten all die offenen Fragen rund um die Studien- und Lehrsituation an unserer Universität natürlich im Auge – selbstverständlich auch während einer Pandemie. Wenn ihr gerade in eurem Studium etwas besonders Schönes, Anstrengendes oder Absurdes erlebt – schreibts uns doch gerne an wissenschaft@radiohertz.de. Wir freuen uns drüber. Mein Name ist Steven Hartig. Danke fürs Zuhören. Passt auf euch auf!


Prof. Dr. Petra Kolip, Professorin für Prävention und Gesundheitsförderung und Studiendekanin an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften

Dr. Jan Andres, Studiendekan an der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft

Dr. Nils Hasenbein, Beauftragter für Studienanlegenheiten an der Fakultät für Biologie

Prof. Dr. Ralf Stoecker, Professor für Praktische Philosophie und Studiendekan der Abteilung Philosophie an der Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie

Prof. Dr. Stefan Gorißen, Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit und Studiendekan der Abteilung Geschichtswissenschaft an der Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie

Dr. Dietmar Pollmann, Studiendekan der Abteilung Sportwissenschaft an der Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft

Dr. Dominik Cholewa, Studiendekan an der Technischen Fakultät

Musik: Honey by Nctrnm (CC BY-NC-ND 4.0)